Wie der Videojournalismus das Laufen lernten

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„Früher“ in den Anfangsjahren des Fernsehmachens war die Produktion eines TV-Beitrags über viele Jahrzehnte eine kostspielige Angelegenheit. Zunächst einmal benötigte man eine Menge sehr, sehr teures Equipment. Noch Anfang der 2000er Jahre war es ganz normal, dass ein Kamerateam, das in der Regel aus drei Personen besteht, mit einer Ausrüstung für viele Tausend Euro losgeschickt wurde, um neue Bilder für die Nachrichten, Magazine oder Reportagen zu drehen. RedakteurIn, Kameramann oder -frau und TonassistentIn fuhren immer gemeinsam zum Drehort, was natürlich auch dreifache Personalkosten verursachte.

Wieder zurück im Sender wurde das gefilmte Material an riesigen Schnittplätzen gesichtet und zum fertigen Film zusammengeschnitten, die von Cuttern und Cutterinnen bedient wurden. Auch dieser Beruf war sehr wichtig, da die alten Drei-Maschinen-Schnittplätze noch mit Videobändern arbeiteten und das Schneiden an diesen ebenfalls viele Hundertausend Euro teuren Anlagen eine Kunst für sich war/ist. Oder doch eher war, denn die Technik schritt voran und mit ihr entwickelte sich ein völlig neues Berufsbild.

Bootcamp 2002

Kameras wurden leistungsstärker, kleiner und vor allem viel günstiger. Das Gleiche galt für Schnittcomputer. Benötigte man vorher sehr leistungsstarke Schnittrechner, deren Komponenten eigens für diese Aufgabe konzipiert und zusammengestellt wurden, war Videoschnitt Anfang der 2000er Jahre auf einmal auf handelsüblichen Laptops möglich. Heute ist es für jedes Kind selbstverständlich, dass man hochauflösende Videos direkt im Handy verarbeiten kann. Videoschnitt am Laptop war vor 20 Jahren allerdings eine Sensation und der Grundstein für den Beruf des Videojournalisten.

Der Videojournalist recherchiert, dreht und schneidet seinen Filmbeitrag alleine. Im Februar 2002 startete die Kölner Produktionsfirma AZ Media das  erste Volontariat für Videojournalisten (VJ) in Deutschland. 14 wild zusammengewürfelte Jungs und Mädchen mit sehr unterschiedlichem Background bekamen im „Bootcamp“ an der Aachener Straße aus erster Hand erklärt, wie sie mit der DV-Kamera demnächst die „TV-Landschaft zu revolutionieren“ hatten.
Eigens dafür wurde der Erfinder des Videojournalismus, Michael Rosenblum, samt dreier Co-Trainer aus NewYork eingeflogen. Dazu kamen weitere Trainer, wie zum Beispiel der Kölner Regisseur Stephen Belles, der die Grundlagen der Filmsprache und ausgefeiltes Interview-Training vermittelte.

VJ-Guru, Michael Rosenblum

In 18 Monaten wurden so aus den meisten Teilnehmern erfolgreiche Videojournalisten (VJs), die schon früh in den AZ-Media-Redaktionen ihre Fertigkeiten testen konnten. So produzierten sie Magazinbeiträge für RTL oder nTV und später sogar längere Stücke und Reportagen. Relativ bald testeten die Verantwortlichen bei AZ Media, wie sich die neuen Produktionsmöglichkeiten beispielsweise bei Auslandseinsätzen kostensparend aber sehr effektiv einsetzen lassen konnten. So entstand im Dezember 2002 die „Sonnenfinsernis-Safari“, für die drei Videojournalisten 10 Tage nach Namibia, Sambia und Botswana reisten.

Während die etablierten TV-Teams die neue Konkurrenz zunächst belächelten und große Vorurteile aufgrund der „wackeligen Bilder“ und des „schlechten Tons“ der Ein-Mann/Frau-Teams hatten, war der Vormarsch der Videojournalisten oder „Drehenden Redakteure“ nicht mehr aufzuhalten. Spätestens als der Hessische Rundfunk 2004 Videojournalisten im Regelbetrieb des Senders beschäftigte, verstummten die anfänglichen Unkenrufe.

Letztendlich haben Videojournalisten den Einsatz von herkömmlichen TV-Teams nie überflüssig gemacht, lediglich ergänzt. Ausgebildete Kameraleute sind Spezialisten auf ihrem Gebiet und können nicht so einfach von einem Videojournalisten verdrängt werden. Auch Ton-Assistenten und reine Redakteure/Autoren haben weiterhin ihren Platz in der Fernsehwelt. Für unterschiedliche Einsatzzwecke benötigt man eben manchmal das klassische Team und manchmal eben einen Einzelkämpfer.
Warum ich so viel darüber hier schreibe?
Na, weil ich VJ14 war.

VJ-Reportage
Sonnenfinsternis-Safari 2002